
Vom Klappern der Mühle zum schweigenden Bach
Dieser Artikel wurde uns freundlicherweise von der NW zur Verfügung gestellt. Dieser Artikel erschien ursprünglich in der NW (Artikel im ePaper der NW).
Autor: Felix Eisele
Seit fast 90 Jahren schlängelt sich der Röbkebach durch die Werrestadt.
Mittlerweile ist sein Fortbestand gefährdet. Denn im Streit ums
Grundwasser zog er schon oft den Kürzeren – und könnte nun erneut
zum Opfer werden.
Löhne. „Klipp klapp, klipp klapp, klipp klapp“ – es war einmal weit mehr als nur eine
Lautmalerei aus einem Kinderlied. Vor Jahrzehnten klapperte tatsächlich noch eine
Mühle am rauschenden Bach mitten in Löhne. Ein kleines, aus Metall geschmiedetes Rad, das Anwohnern als Kraftwerk diente und Wasser für den Hausgebrauch zu den
Domizilen pumpte. Heute aber klappert und rauscht hier nichts mehr. Auch weil das
Gewässer dazu längst nicht mehr in der Lage ist. Und momentan deutet vieles darauf
hin, dass der Bach endgültig als Verlierer aus einem langwierigen Streit ums
Grundwasser hervorgehen und zum Opfer wirtschaftlicher Interessen werden könnte.
Konkret geht es um den Röbkebach, der seit Ende der 1930er-Jahre der Geisebergquelle entspringt. Seinerzeit hatte die Reichsbahn sie zur Versorgung ihrer Dampflokomotiven aufgebohrt, das Interesse am Wasser aber schnell wieder verloren. Zu mineralhaltig war es für ihre Zwecke. Aus dem Bohrloch aber sprudelte es fröhlich weiter und bahnte sich seinen Weg zwischen Dickendorner und Ostensieker Weg, unter der Brunnenstraße hindurch Richtung Werre.
Eine idyllische kleine Welt mitten in Löhne
Entstanden ist dadurch aber nicht nur ein Bachlauf. Über die Jahre hinweg entwickelte
sich entlang des Gewässers eine regelrechte Biotoplandschaft mit artenreichen
Feuchtwiesen. Gehölze, Stauden und Grünland säumten die Ufer, an warmen Tagen
umschwirrten Klappergrasmücken, Libellen und Falter den Bewuchs. Selbst der scheue
Eisvogel wurde hier schon gesichtet. Und noch heute bekommen Anwohner glänzende
Augen, wenn sie sich an den Landwirt erinnern, der vor vielen Jahren einmal Entenküken im Bach das Schwimmen beibrachte, nachdem diese ohne Mutter geschlüpft waren. Eine idyllische kleine Welt, mitten in der Werrestadt.
Mittlerweile aber sehen manche Beobachter das einstige Idyll in ernster Gefahr. Denn in
den vergangenen zehn Jahren hat sich die Wassermenge des Röbkebachs konstant
reduziert. Wobei der Rückgang keinesfalls natürlichen Ursprungs ist, sondern von
Menschenhand herbei geführt.
Die Gründe dafür sind gleichsam vielfältig wie nebulös. Zu suchen sind sie tief im
Untergrund, nämlich im Grundwasserleiter des Gewinnungsgebiets Bischofshagen. Aus
ihm speist sich nicht nur der Röbkebach, sondern auch mehrere Brunnen. Zwei davon
gehören der Brohler Mineral- und Heilwasser GmbH, die aus dem kühlen Nass unter
anderem ihre Marke „Steinsieker“ gewinnt. Vier Weitere sind im Besitz der Stadtwerke
Löhne – und werden durch diese an den Mineralwasserkonzern Refresco, vormals Hansa Heemann, verpachtet.
Den Behörden ist diese Vielzahl von Zugriffen auf das kostbare Nass längst zu viel
geworden. „Grundwasser ist grundsätzlich sparsam zu bewirtschaften und unnötige
Entnahmen sind zu vermeiden“, heißt es etwa vonseiten des Kreises Herford. Als im Jahr 2007 befürchtet wurde, dass sich die Wasserqualität der Geisebergquelle zunehmend verändere, schrillten im Kreishaus die Alarmglocken. Die Vermutung: Wenn man oben zu viel Wasser entnimmt, fließt aus den unteren Schichten zu viel Wasser mit höherem Mineralgehalt nach.
Um das zu verhindern, nahm man sich schließlich den Röbkebach vor. Im Jahr 2015
beantragten die damaligen Wirtschaftsbetriebe Löhne als Vorgänger der heutigen
Stadtwerke eine stufenweise Drosselung des Auslaufs. Im Ergebnis floss deutlich weniger Wasser in den Bach. Mehr noch: Die Menge wurde in der Folge immer weiter begrenzt. 2016 trat eine zweite Drosselungsstufe in Kraft, 2018 ein weitere. Mittlerweile sprudelt nur noch etwas mehr als ein Drittel der ursprünglichen Menge. Und der Bach selbst schwindet immer mehr.
Früher, so berichten Anwohner, galt ein Sprung von Ufer zu Ufer noch als Mutprobe, bei
der sich so mancher Heranwachsende nasse Füße holte. Etliche Löhner unternahmen
am Röbkebach ihre ersten Angelversuche und präsentierten stolz ihre Trophäen in Form von Forellen. Kindern diente das Gewässer als Alternative zur Badeanstalt. Und nicht wenige Anwohner erinnern sich auch heute noch an „Hugo, den Karpfen“ der einst aus einem der Fischteiche entwischt war und sich fortan im Bachlauf vergnügte.
Heute sind diese Geschichten nicht mehr als Erinnerungen auf verblassten Fotos. Der
Wasserlauf gleicht eher einem Rinnsaal, das mit einem einfachen Schritt überquert
werden kann. Gebadet werden im auf Knöcheltiefe zurückgegangenen Wasser allenfalls Füße. Und Fische wurden hier schon lange keine mehr gesichtet. „Da hätte ein stattlicher Karpfen wie Hugo auch gar keinen Platz“, sagen Anwohner.
. . .und noch mal soll gedrosselt werden
Den Behörden ist all das durchaus bekannt. Zwar ging der Kreis Herford nach eigenen
Angaben vor der Drosselung davon aus, „dass nicht mit erheblichen nachteiligen
Umweltauswirkungen gerechnet werden muss“. Die Wirklichkeit aber spricht eine andere Sprache. Schon 2018 – also zwei Jahre nach dem ersten Eingriff – stellte das
Umweltberatungsbüro HPC aus Kassel fest, dass der Röbkebach eine „defizitäre
Gewässerstruktur“ aufweise, in der typische Fischarten vollständig fehlten. Als einer von
mehreren Gründen wurde in dem Bericht die „geringe Gewässerdimensionierung“
genannt. Auch vor einem Trockenfallen des Baches wurde dort ausdrücklich gewarnt.
Was den Kreis Herford allerdings nicht daran hinderte, auch noch eine dritte Drosselung
zu genehmigen. „Zum Schutz des Grundwassers“ und „nach Abwägung verschiedener
Interessen“, wie es auf NW-Nachfrage aus dem Kreishaus heißt.
Sieben Jahre später nun sind nicht nur die letzten Libellen vom Röbkebach
verschwunden – sondern auch die Hoffnung vieler Beobachter auf eine Rettung ihres
einstigen Idylls. Mittlerweile nämlich wird von offizieller Seite sogar offen über eine
nochmalige Begrenzung des Gewässers nachgedacht. „Die Stadt Löhne hat eine weitere Drosselung des Geisebergbrunnens beantragt“, bestätigt Patrick Albrecht auf NWNachfrage. Denn die Erlaubnis für die dritte Drosselungsstufe, so erklärt er, laufe in
Kürze aus. „Derzeit laufen die Prüfungen für eine Nachfolgeregelung.“ Nach Angaben von Stadtwerke-Sprecherin Sarah Schröder könne dabei eine Verlängerung herauskommen – oder aber eine vierte Drosselung. „Für uns ist Letzteres nicht unbedingt erforderlich“, sagt Schröder.
Dennoch befürchten Beobachter, dass genau das passieren wird. Fakt ist nämlich, dass
beim Zugriff auf das Grundwasser bislang stets dem Mineralwasser der Vorzug gegeben wurde, während der Röbekbach aus vermeintlichen Naturschutzgründen das Nachsehen hatte. Denn nahezu alle Drosselungen fallen auch mit wirtschaftlichen Interessen zusammen.
Schon 2015 etwa waren einer Firma – nach NW-Informationen handelte es sich um
Brohler – die vom Kreis genehmigten Fördermengen aus dem Grundwasserleiter zu
hoch. Nachdem das Oberverwaltungsgericht NRW daraufhin die erlaubte
Entnahmemenge vorübergehend begrenzte, handelten die Kontrahenten schließlich
einen Kompromiss aus. Im Jahresabschlussbericht 2018 der Wirtschaftsbetriebe Löhne
heißt es dazu, dass erst durch die „zweite Eindrosselung der Geiseberg-Bohrung“ wieder die ursprüngliche Fördermenge genehmigt wurde. Die ist im Unterschied zum Ausfluss in den Röbkebach ansonsten seit 2013 konstant hoch geblieben.
Im Spannungsfeld von Ökologie und Wirtschaft?
Auch vor der dritten Drosselungsstufe im Jahr 2018 spielten wirtschaftliche Interessen
eine Rolle. Zwar ging es nach Angaben des Kreises Herford offiziell um den Schutz des
Grundwassers. Eine Begrenzung der betriebenen Brunnen aber wurde dabei offenbar
gar nicht erst verfolgt. Im Gegenteil hieß es in der zugehörigen
Umweltverträglichkeitsprüfung sogar wörtlich: „Ziel der Drosselung ist die Ermöglichung
einer höheren Förderung an Mineralwasser.“
Dass ein solches Ziel nun auch durch eine mögliche vierte Drosselung verfolgt wird,
erscheint vor diesem Hintergrund nicht unwahrscheinlich. Zumal die Brohler-Gruppe erst im Mai 2023 vor dem Verwaltungsgericht Minden erneut gegen die aus ihrer Sicht zu hohen Entnahmemengen durch die Stadtwerke geklagt hat. Wieder ging es dabei um die mineralische Zusammensetzung des Grundwassers. Und wieder steht nur kurze Zeit später eine erneute Begrenzung des Röbkebachs im Raum.
Ein tatsächlicher Zusammenhang wird von offizieller Seite zwar nicht bestätigt. Das
Verhalten der Behörden aber wirft zumindest Fragen auf. So schweigen sich etwa die
Beteiligten über das Ergebnis des Gerichtsprozesses aus. Lediglich dass er in einem
Vergleich endete, wird bestätigt. Über dessen Inhalt aber gibt das Verwaltungsgericht mit Verweis auf die außergerichtliche Einigung keine Auskunft. Auch der Kreis Herford
möchte sich laut Patrick Albrecht nicht zu den künftigen Fördermengen äußern. Eine
explizite NW-Anfrage zur erlaubten Entnahme von Grundwasser zur
Mineralwassergewinnung lässt er unbeantwortet.
Dass zudem die Umweltverträglichkeitsprüfung, in der die Mineralwasserförderung
ausdrücklich als Ziel erwähnt und die möglichen Auswirkungen auf den Röbkebach
dokumentiert wurden, nicht mehr öffentlich einsehbar ist, hinterlässt unter Beobachtern
ein ungutes Gefühl. Bis vor Kurzem war das Dokument auf der Internetpräsenz des
Kreises noch abrufbar, seit Beginn der NW-Recherche aber wird Besuchern der
entsprechenden Seite „der Zugriff auf das Objekt verweigert“. Gleiches gilt für den
Drosselungsantrag von 2018.
Auch deshalb vermuten manche Beobachter, dass die anvisierte vierte Drosselung des
Röbkebachs Teil des Vergleichs sein könnte – und das Gewässer ein weiteres Mal
zugunsten der Mineralwasserproduktion geschwächt werden könnte. Spätestens dann,
so der Tenor, wäre die Idylle endgültig dahin. Was Karpfen Hugo wohl davon hielte?